Robert Stieve

Eicheln

Manchmal bedarf es nur eines kleinen Eingriffs, um einen großen Effekt zu erzielen. Robert Stieve platziert eine Vielzahl von riesenhaften Eicheln zwischen Bäumen auf dem Waldboden. Durch die Verschiebung der Größenrelation zwischen realer und gestalteter Umwelt  wird zunächst Aufmerksamkeit stimuliert. Vielleicht, weil man einen forsttechnischen Zweck unterstellt, vielleicht, weil man sich das im Größenverhältnis passende Eichhörnchen zu den Eicheln vorstellt. Daraus resultiert anschließend die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Eingriffs. Die riesige Frucht muss in ihrer Betonung als Symbol verstanden werden. Als prototypische deutsche Waldfrucht nimmt die Eichel also den Heimatdiskurs auf. Durch den Blow-Up-Effekt, der besonders durch die Pop-Art, insbesondere Claes Oldenburg, Ruhm und Verbreitung fand, wird etwas betont, was ansonsten leicht übersehen werden kann. Dass die Arbeit dennoch nicht plakativ oder allzu „poppig“ wirkt, liegt daran, dass die gewählte Größe verstörend ist, da Früchte in dieser Größe durchaus noch denkbar sind. Die Verschiebung erfolgt also langsamer, verunsichernder. Hier kann man sofort eine Reflektion über den Lebenszyklus der Eichen anschließen, über das Werden und Vergehen. Damit bekommt die Arbeit eine Poesie, die über den Moment der Betrachtung hinausgeht.

Formal orientiert sich die Arbeit an der willkürlichen Verteilung natürlicher Eicheln. Die identischen, abgegossenen Früchte sind in keiner Struktur arrangiert, die den Blick in eine bestimmte Richtung lenken, genauso wenig wie sie auf etwas verweisen. Stieve verteilt die Elemente jedoch geschickt über ein weiträumiges Areal, sodass dadurch für den Betrachter der Eindruck einer großflächigen Zusammengehörigkeit entsteht. Das Kunst-Objekt bringt neue Koordinaten in den Natur-Raum ein.

Ihre Stärke erhält die Arbeit durch den Kontrast von organischer Umgebung und betont anorganischer Substanz der skulpturalen Körper, die sich sowohl im Material als auch in der Farbigkeit wieder findet. Die gerade nicht individuell geformten Elemente nehmen Art und Verteilung der Natur auf, um so auf ihre Zweckfreiheit hinzuweisen: Zur Kunst erstarrt, ist die Waldesfrucht nicht den üblichen Abläufen innerhalb der Natur unterworfen, sondern erinnert uns an die Möglichkeit der ästhetischen Wahrnehmung von organischen Objekten und Prozessen. Dass dies hier mit großer Deutlichkeit geschieht, liegt nicht zuletzt daran, dass mit den überbetont reifen, großen und prallen Eicheln selbstverständlich auch sexuelle Konnotationen entstehen können. Der Fruchtbarkeitsgedanke wird so überspitzt, dass er schon wieder ironisch gebrochen wird. Das Prinzip „Größer-Weiter-Mehr“ nimmt Stieve auf, um es unkommentiert der blühenden Fantasie eines Waldspaziergängers auszusetzen.

Text: Daniel Neugebauer