Mark Kramer

The Cage

Der Stand der Dinge

Ob die Natur dem Menschen unterworfen ist oder andersherum, der Mensch der Natur, ist eine Frage der Perspektive. Mark Kramer stellt mit „The Cage“ die Natur in den Vordergrund. Es ist nicht leicht das Kunstwerk im Wald auszumachen. Ab etwa zweieinhalb Metern Höhe sind dünne Nylonfäden vertikal gespannt, an denen kopfüber schwarze Plastikfiguren aufgereiht befestigt sind. Gegen das wirre Blattwerk der Buchenbäume setzen sich die kleinen Figuren kaum ab. Man muss seine Aufmerksamkeit und seinen Blick schon genau darauf richten, um sie zu entdecken.

Nun sind es lediglich Plastikabgüsse, die dort über unseren Köpfen hängen. Und trotzdem erkennen wir Abbilder menschlicher Gestalten in Alltagsposen. Kleine schwarze Figuren, die eine Identifikation mit dem Kollektiv der Menschheit oder unserer Gesellschaft zulassen. Vielleicht ist es sogar das eigene Ich, das in den Bezugsrahmen dieser Figuren gesetzt wird.

 

Fast unsichtbar für den unaufmerksamen Passanten geht diese Ansammlung von Gestalten im Großen der Natur unter. Einerseits frei schwebend ohne festen Boden unter den Füßen. Andererseits gebunden an einen festen Platz in dem Gefüge und doch nicht reglos. Mark Kramer hat in jede Reihe noch ein weißes Plastikblatt mit eingebunden. Die Blätter verdeutlichen einen weiteren Aspekt in der Beziehung der Installation zur ihrer Umgebung. Sie zeigen, wie die Stränge von jedem Luftzug bewegt werden. Die Natur ist das eigentlich aktive Moment in dieser Beziehung. Mit all diesen Eindrücken wirkt das Kunstwerk in seiner Grundstimmung fatalistisch, so als könne der Mensch nicht frei handeln und sei den Gegebenheiten der Natur ausgesetzt. „The Cage“, Der Käfig, entwirft ein Bild gefangener, in ihrer Erscheinung bedeutungslos wirkender Menschen.

 

An dieser Stelle vollzieht sich ein Perspektivwechsel. Ein Wechsel zu der Sichtweise der Natur, in der alles in Bedeutungslosigkeit untergeht. Der Begriff „bedeutungslos“ erweist sich hier als mehrdeutig, abhängig von der Perspektive der Betrachtung. Einerseits ist Kunstbetrachtung der Versuch, aus dem Zeichengefüge eine Erkenntnis für sich zu ziehen. Andererseits ist Kunstbetrachtung auch der Versuch, in die Nähe von Erfahrungen gerückt zu werden, die eigentlich rational ungreifbar sind.

Betrachtet man das Werk als geschlossenes Zeichensystem, also unabhängig von seinem Umfeld, erhält man den Eindruck, der Mensch sei Teil eines Gefüges, in dem er als Einzelner bedeutungslos erscheint. Hatte der Betrachter sich eben noch mit den Figuren identifiziert, erweist sich deren Erscheinung gleichzeitig als nichtig. Dies ist immer noch eine Negation von Bedeutung, die innerhalb eines Bedeutungsgefüges stattfindet, also  bedeutsam ist. Sie meint nicht deren Abwesenheit.

In der Abwesenheit von Bedeutung sind die Dinge, so wie sie sind, ohne irgendeine Beziehung. Die rein ästhetische, kontemplative Anschauung kann den Wahrnehmenden in die Nähe dieses Zustandes rücken. Man kann sich die Sichtweise der Natur eigentlich nicht vorstellen, da es sie nicht gibt. Die Natur hat keine Sicht auf die Dinge. Dass die Figuren kopfüber hängen, kann auf eine Verkehrung der Perspektive schließen lassen. Jedoch nicht für die Natur.

Text: Oliver Konen