Anna Gudjonsdottir

Schiff und Steine - Seestück am Piesberg

Schiff und Ziegel - Wandgemälde am Hof Münsterjohann

Der Bug eines Schiffes, dessen Planken sichtbar sind, scheint sich aus dem Berg heraus zu schälen. Es ist ein steinernes Schiff, das wie ein Fossil an eine andere Realität gemahnt, eine andere Zeit und einen anderen Raum, die sich in der vertrauten Umgebung eröffnen. Das Schiff am Berg ist eine Paradoxie. Es ist auf dem Piesberg gestrandet wie einst Noahs Arche auf dem Berge Ararat. Die geologische Beschaffenheit des Piesberges hat Anna Guðjónsdóttir zu dieser Arbeit inspiriert. Tatsächlich befand sich in der Nähe ein urzeitliches Meer. Wasser und Vulkanismus waren die formenden Kräfte dieser Landschaft. So haben die Eruptionen eines unterirdischen Vulkans den sehr harten Stein hervorgebracht, der heutzutage hier abgebaut wird.

Anna Guðjónsdóttir orientierte sich bei der Ausführung des Steinreliefs an der menschlichen Fähigkeit, Bilder in die Natur hinein zu sehen. Der Schiffsbug war in dem Felsen bereits vorgebildet. Es ist ein Werk, dessen Gestalt von der Künstlerin wahrgenommen und erkannt wurde. Der künstlerische Eingriff ist dementsprechend minimal. Einige Ritzungen betonen die Planken und das Loch der Ankerkette, und der Bugspriet wurde herausgearbeitet. Das Steinrelief von Anna Guðjónsdóttir verweist auf die Erdgeschichte ebenso wie auf die Fähigkeit des Menschen zur Interpretation. In Urzeiten hätte dies die Kultstätte eine Volkes von wagemutigen Seefahrern sein können, die das, was ihnen heilig war aus dem Stein heraus meißelten, so wie viele Kultstätten auf vermeintlichen versteinerten Figuren beruhen. Die Nähe des idyllischen Ortes zum Steinbruch, wo das Gestein abgebaut wird und zur ehemaligen Mülldeponie, verweist auch auf die industrielle Nutzung des Bodens und die Schwierigkeit, die es den Menschen bereitet, das der Natur Abgerungene wieder in einen sinnvollen Kreislauf zu überführen.

 

Das Wandgemälde von beträchtlichen Ausmaßen ist von der Arbeit Schiff und Steine inspiriert. Es markiert einen weiteren Schritt in der menschlichen Entwicklung vom Leben in der Natur zum Leben in der Kultur. Die Architektur wird aktiv einbezogen. Das Material Ziegel, gebrannter Lehm aus der Umgebung, wird zum Bedeutungsträger. Es ist ein kulturelles Produkt, in das Energie investiert wurde, um eine Behausung herzustellen. Auf der Ziegelwand wurde mit Ösen ein Gemälde befestigt, welches die Ziegelwand imitiert. Das Bild ist ein trompe-l’oeil, das mit der Wand zu verschmelzen scheint. Gleichzeitig bricht es die Wand auf. Sichtbar werden Pflanzen, die sich in den Öffnungen der Wand angesiedelt haben und sich nun anzuschicken scheinen, das Gebäude für die Natur zurück zu erobern. Sie markieren eine Öffnung, die andere Dimensionen in Raum und Zeit erschließt. Es ist ein Eismeer, in das sich bläuliches Gletscherwasser ergießt. Am linken Rand ist wiederum der abstrahierte Bug eines Schiffes zu sehen, das dem Felsenschiff am Piesberg ähnelt.

Mit der neuen Perspektive, die das Wandbild eröffnet, ist ein utopisches Potenzial verbunden. Die zeitliche Dimension kann sich auf die geologische Entstehungsgeschichte, das urzeitliche Meer und auf die Eiszeit beziehen. Jedoch ruft das Bild auch zur kritischen Reflexion darüber auf, dass nichts, weder in der Natur noch in der von Menschen geschaffenen Welt, ewig existiert. Die Öffnung in der Wand öffnet auch den Blick für die Zukunft. Vielleicht gemahnt uns das Schiff daran, wie Noah an eine vorhergesagte Flut zu glauben, die uns mit dem Abschmelzen der Gletscher und der Polkappen und dem Ansteigen des Meeresspiegels vielleicht schon bald erreicht.

 

Text: Barbara Uppenkamp